Je behutsamer ein Mensch handelt, desto mehr werden andere Menschen in seiner Gegenwart liebevolle Gefühle empfinden. (Yogasutra 2.35)
Was ist Sprache?
Sprache ist Benennen …
Sprache erklärt uns die Welt. Sprache befähigt uns Menschen also auch dazu, yogische Haltungen, Bewegungen, Atemübungen, Entspannungsreisen und Meditationen zu benennen: Dies ist die Kuh, jenes ist das Kamel. Neben konkreten Namen gebrauchen wir auch Überbegriffe, wie: Das sind die Atemübungen, das die Yogaübungen im Stehen und jenes die Bewegungsabfolgen oder Haltungen.
Betrachten wir Sprache entwicklungsgeschichtlich, so sehen wir, dass sie sich erst auf das Benennen von Pflanzen, Tieren und Naturereignissen beschränkte sowie von Gegenständen, welche die Menschen erschaffen hatten. Das spiegelt sich auch in den Namen vieler Yogapositionen und Bewegungen wider: vom Fisch über den Baum bis zum Diamantensitz oder den Tisch.
… Sprache ist Beschreiben …
Yogabuch-Autor:innen, die selbst Yogaübende und Yogalehrende sind, denken an vieles, wenn sie Yogaübungen beschreiben. Sie beschreiben den Ablauf: Anfang, Ende und die einzelnen Schritte einer Übung. Sie teilen ihr Wissen und die Erfahrungen, die sie selbst mit dem Üben gemacht haben. Damit ein gutes Werk entsteht, spielen beim Beschreiben Wortschatz, Grammatik, Satzbau, Konzept sowie individuelle Fähigkeiten und Fertigkeiten und vieles mehr zusammen. Yogabücher von Schriftsteller:innen oder alte Yogaschriften sind eine wunderbare Begleitung für den persönlichen Lernprozess. Lesend, vorlesend, zuhörend auf der Ebene der Sprache zu lernen heißt: sich Wissen aneignen, sich weiter aufs Lehren vorbereiten, in der eigenen Yogawelt Orientierung schaffen.
… Sprache ist Berichten …
Sprache ist Kommunikationsmittel und dient uns auch dazu, unsere Gedanken, unsere Wahrnehmungen auszudrücken und uns mit anderen Menschen auszutauschen. Beim Berichten teile ich meine Erfahrungen und Erlebnisse mit anderen, ob in der gesprochenen oder in der geschriebenen Sprache. Ich erzähle bzw. beschreibe die Fortschritte, die ich beim Yogaüben mache. Ich beobachte und teile die Wirkung einer Yogaübung mit. Für den Lernprozess ist das Ausformulieren wesentlich, denn: Schreiben ist Denken. Schreiben ist Klären.
… Sprache ist mehr als Benennen, Beschreiben, Berichten. Sprache ist auch: Handeln
Das Wort handeln bedeutete ursprünglich: etwas mit der Hand tun. Später kamen weiter gefasste Bedeutungen hinzu: etwas vollbringen, etwas verrichten, etwas tun. Beim sprachlichen Handeln geht es darum, wer, wie und in welchem Zusammenhang was sagt und was damit bezweckt. Denn Sprache und Sprechen erzeugen Wirkung.
Wie wirkt Sprache?
Im sprachlichen Handeln setze ich die Worte aus meinem Wortschatz in der Regel unbewusst ein. Jedes Wort hat eine Wirkung auf die Menschen, mit denen ich spreche bzw. denen ich schreibe. Ebenso stark wirkt es auch auf mich selbst. Und jedes Wort wirkt bei jedem Menschen anders, denn stets schwingen Empfindungen und Haltungen aus meinen Lebenserfahrungen mit.
Negativ konnotierte Worte senden Alarmmeldungen und erhöhen die Aktivität im Angstzentrum, Stresshormone werden produziert. Diese Hormone unterbrechen den Prozess der Logik und Argumentation. Das Gehirn schaltet auf „tierisches Reagieren“. Verwende ich hingegen bewusst und regelmäßig positive konnotierte Worte, so werden Bereiche im Vorderlappen des Gehirns gestärkt. Diese sind für kognitives Denken zuständig und aktivieren Motivationszentren. So können Worte das Gehirn verändern. Diese Wechselwirkung von Sprache und Gehirn sollte uns beim sprachlich-yogischen Handeln bewusst sein.
Sprachliches Handeln im Yogaüben, Yogalernen und Yogalehren
Während ich für mich selbst Yoga übe, erlebe ich meinen Körper neu, merke, wie meine umherspringenden Gedanken sich beruhigen, wie sich ein Wohlgefühl ausbreitet und ich neue Kräfte tanke. Ich bin mit Gestalten, Fühlen, Spüren und Empfinden beschäftigt – oft ohne das Erlebte gedanklich auszuformulieren.
Wenn ich hingegen Yoga lerne, also bei einer Yogastunde mitmache oder mit einem Yogabuch lerne, spielt die Sprache und spielen die Wörter eine wichtige Rolle. Ein treffendes Wort kann wie eine Zauberformel wirken. Denke ich Beispielsweise an die Namen von Yogaübungen, Krokodil etwa oder Schmetterling, so entsteht jeweils ein Bild in meinem Kopf, das mich zum Üben motivieren kann. Das Wort und auch das Bild lösen Gefühle in mir aus und ich empfinde Leichtigkeit, Kraft oder Entspannung.
Lehre ich Yoga, so handle ich sprachlich yogisch und leite eine Yogaübung an. Dabei sage ich das Was und Wie, damit die Übenden wissen, was und wie etwas bei der Übung zu tun ist. Lehren heißt jedoch selbstverständlich mehr als nur Anleiten: Es bedeutet auch, Freude weiterzureichen, ermunternd und ermutigend zu formulieren. Beispielsweise fördert das Wort Zuversicht eine positive und aktive Einstellung. Es beinhaltet „Sicht“ und „Sehen“. Ich sehe in die Ferne. Ich sehe, es wird. Ich kann das, ich schaffe das, ohne auf eine Leistung zu schielen.
Dieses Beispiel will zeigen, wie wir Yogalehrende mit der Kraft der Sprache und einzelnen Worte handeln. In diesem Sinne gilt der Leitsatz: Das behutsame sprachliche Handeln der yogalehrenden Person ist die Voraussetzung dafür, dass der oder die Yogalernende liebevolle Gefühle empfindet. Empfinden bedeutet darüber hinaus aber auch wahrnehmen, herausfinden und im Innersten ergriffen sein.
Wir sehen also: Eine bejahende und wertschätzende Sprache wirkt sich positiv auf die innere Haltung aus, stärkt die eigene Ausstrahlung und die Persönlichkeit sowohl von Lernenden als auch von Lehrenden. Sie ist wesentlich für den individuellen Stil jeder und jedes Yogalehrenden. Bücher und Texte können wertvolle Anregungen zur Weiterentwicklung des eigenen Lehrstils geben. Was aber letztlich auch beim Yogalehren zählt, ist vor allem eines: Authentizität.
Gyöngyi Hajdu
Dipl. Ökonomin und Übersetzerin aus dem Englischen. Muttersprache Ungarisch. Sie lernt Yoga seit 1994, lehrt seit 2002 in der Luna Yoga® Tradition und leitet seit 2010 die Seminare zu Sprache und Stil des Luna Yoga® Lehrens. Die Kraft der Sprache inspiriert und beflügelt sie auf ihrem Yogaweg.
www.luna-yogaweg.at
Der Artikel ist im Yoga-Info 1.2024: Yoga und Sprache erscheinen. Yoga-Info ist ein Journal des Berufsverbandes der Yogalehrenden in Österreich/BYO.